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Marianne Heimbach-Steins für Polis.ba: Es ist ungerecht zu behaupten, der Synodale Weg wäre nicht geistlich oder würde der Kirche schaden

Eine Kirche, die dem Wirken des göttlichen Geistes traut, kann sich die Freiheit nehmen und der Theologie die Freiheit lassen, zu suchen und zu erproben, wo der Geist weht, ohne dass das Lehramt enge Grenzen setzt. Um die Botschaft des christlichen Glaubens in eine neue Zeit zu übersetzen, ist es die Aufgabe der Theologie, blinde Flecken im kirchlichen Denken auszuweisen, neue Wege zu öffnen und neue Sprachangebote zu machen

Marianne Heimbach-Steins (Westfälische Wilhelms-Universität Münster) ist eine römisch-katholische Theologin und Direktorin des Instituts für Christliche Sozialwissenschaften an der Universität Münster. Sie ist Mitglied des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK). Neben zahlreichen Veröffentlichungen erschien Christliche Sozialethik: Ein Lehrbuch (2004-2005) und Grenzverläufe gesellschaftlicher Gerechtigkeit. Migration – Zugehörigkeit – Beteiligung (2016). Mario Trifunović sprach für Polis.ba mit Marianne Heimbach-Steins, die eine der Dozentinnen bei den Mediterranean Theological Meetings in Lovran ist.


Christinnen und Christen sind nach biblischer Auffassung gleichberechtigt in Christus. In Ihrem Vortrag nennen Sie Paulus, der die urchristliche Gemeinde als eine durch die Taufe auf Christi Namen gegründete Gemeinde der Befreiten anspricht- Durch die Taufe werden alle Mitglieder der ekklesia grundsätzlich gleich, weil sie zu Christus gehören. Auf diese Weise verändern sich alle relevanten Beziehungen innerhalb dieser Gemeinde, weil alle Arten von Unterschieden, die es in der damaligen heidnischen Welt gab, von Hierarchie und Unterordnungen, jetzt zweitrangig werden. Alle Christinnen und Christen haben gleichermaßen Anteil an der Gabe der Befreiung. Und dennoch sehen wir heute noch immer, dass Hierarchie ganz und gar nicht zweitrangig ist? Wieso spielen diese Machtverhältnisse heute noch so eine große Rolle?

Das ist eine schwierige Frage, die man nicht mit einem Satz beantworten kann. Ich denke, dass klar sein sollte, dass die Freiheit als Befreiung der Kern der christlichen Botschaft ist. Die sollte von ihren Wurzeln, vom Alten Testament her, von der Exoduserzählung, von dem befreienden Handeln Gottes gelesen werden, um dann die Weiterentwicklung im Neuen Testament zu beobachten. Dann kommen wir dazu, dass im heilenden und freimachenden Handeln Jesu wie auch dann in der paulinischen Ekklesiologie diese Grundauffassung der gleichen Freiheit im Bezug auf Christus eine ganz starke Rolle spielt. Wir wissen auch, dass in den neutestamentlichen Texten dies nicht die einzige Spur ist, die verfolgt wird. In dem Moment, indem sich eine Gemeinschaft formt und institutionalisiert, werden Regeln gegeben und geschaffen, für die man sich an dem orientiert, was bekannt ist und was in der sozialen Umwelt gelebt wird. Beispiel: Die patriarchalen Verhältnisse in der antiken Welt, die dann auch bei Paulus, neben den starken Aussagen zur Befreiung und dem Verschwinden der Bedeutung der Unterschiede, die Ordnung der Gemeinde prägen, etwa eine Unterordnung etwa in Bezug auf das Geschlecht vorsehen. Oder der Sklave Onesimus: Er wird zwar seinem Herrn als Bruder anempfohlen, gleichwohl spricht sich Paulus nicht unmittelbar gegen die Sklaverei aus. Es besteht diese Spannung zwischen einer Grundorientierung an der Botschaft des Reiches Gottes als Ort und Rahmen der Freiheit und der Formierung von Ordnungen, die Maß nehmen an dem, was man in der Gesellschaft vorfindet. Und in dem Maße, in dem die Kirche sich zunehmend institutionalisiert hat, indem sozusagen eine Ordnung, eine Rangfolge eingerichtet wurde, haben immer wieder die Ordnungsmuster die Oberhand gewonnen, die die zeitgenössische Gesellschaft prägen – und die sind, solange die Kirche in der abendländlichen Tradition existiert, grundlegend patriarchal gewesen . Durch die Zeiten sind die Ordnungen weiterentwickelt worden, und gerade in der Neuzeit und in der Moderne beobachten wir phasenweise eine gewisse Gegenläufigkeit zu Entwicklungen der Demokratisierung und der Abschleifung von starken Hierarchien. Die Abwehr solcher Tendenzen hat vor allem im 19. Jahrhundert zu einer Verfestigung des Autoritätsdenkens und einer großen Skepsis gegenüber der Freiheit der Gläubigen geführt. Durch die Geschichte der Kirche zieht sich demnach eine Grundspannung zwischen dem liberatorischen Impuls des Evangeliums und der gesamten Schrift einerseits, und dem Institutionalisierungsdynamiken innerhalb der Kirche.

Stichwort: Demokratie. Wenn Sie sagen, dass man sich orientiert hat an den Gesellschaftsbildern, ist das dann nicht ein Zeichen der Zeit für die Kirche, heute anders zu denken und neue Formen zu diskutieren? Kann man sich die heutige Form, die liberale Demokratie, zu Herzen nehmen? Wir hören aber immer wieder das Schlagwort: Die Kirche kann nicht demokratisch sein oder werden. Wie sehen Sie das?

Das ist eine Auseinandersetzung, die sich durch die Kirchengeschichte der Moderne zieht. Wenn wir uns kirchliche Entwicklungen umfassender anschauen, gibt es aber durchaus auch tief verwurzelte  positive Anknüpfungspunkte. Das eine ist sicherlich die Schwierigkeit der katholischen Kirche, sich mit demokratischen Strukturen und Ansprüchen positiv zu arrangieren. Das hat sicherlich etwas mit der Geschichte demokratischer Strukturen in der Moderne zu tun. Schauen wir etwa auf die französische Revolution, dann sehen wir, wie diese Dynamik der modernen Gesellschaft und Regierungsform in Europa Gestalt gewonnen hat –  um den Preis der Zurückdrängung der Kirche als politischer Machtfaktor. Das ist das eine, woran sich die Kirche im 19. und 20. Jahrhundert massiv abgearbeitet hat. Sie hat immer wieder die eigene Besonderheit betont, nicht aus dem Willen des Volkes entstanden zu sein, sondern aus dem Willen Gottes. Auf der einen Seite liegt darin etwas Wahres, aber auf der anderen Seite ist es notwendig zu unterscheiden zwischen der theologischen Idee von Kirche als göttliche Stiftung und der Frage, wie sich eine religiöse Organisation wie die Katholische Kirche institutionalisiert. Um die Idee der Beteiligung der Gläubigen positiv aufzugreifen, hilft es, die tiefen Wurzeln eines partizipatorischen Umgangs miteinander in Erinnerung zu rufen, etwa durch einen Blick in die Geschichte der Orden, wo sich eine große Tradition von gemeinschaftlichen Unterscheidungen und Entscheidungen findet. Etwa im benediktinischen Mönchtum, bei den Bettelorden oder auch den Jesuiten. Da gehen die Prinzipien von Führung durch einen Verantwortungsträger und durch substantiell gemeinschaftliche Entscheidungen Hand in Hand. Die gute Unterscheidung und Entscheidungsfinden, das discernment, ist so wichtig. Da finden sich reiche Traditionen, an die anzuknüpfen wäre. Unter dem Vorzeichen der gemeinsamen Ausrichtung in der Suche nach dem, was wahr und was richtig und gut ist, finden wir valide Muster in unserer eigenen kirchlichen Tradition.

Da würde ich anknüpfen: Bettelorden sind klar, auch wenn Franziskus gegen eine Institutionalisierung seines Ordens war und heftig mit Rom gestritten hat, da gab es auch andere, weniger erfolgreiche Beispiele. Franziskus hat es zwar geschafft, Anerkennung zu bekommen, aber er war nicht wirklich einverstanden mit der Institutionalisierung seines Ordens.

Das ist sicher richtig und das ist ganz typisch für charismatische Aufbrüche in der Kirche, die sich zunächst mal gegen ihre eigene Institutionalisierung richten (das ist die Dauerspannung zwischen Charisma und Amt). Es sind immer Reformbewegungen gewesen, die aufgebrochen sind, um bestimmte Vereinseitigungen, auch Missstände, beispielsweise im Umgang mit Macht in der Kirche, zu korrigieren. Die Rückkehr „zu den Wurzeln“, zum Evangelium, ist die treibende Kraft für Aufbrüche zu etwas Neuem, durch alle Epochen hindurch gewesen. Dann finden wir Gestalten wie Franziskus, die sagen, wir müssen die Gefahr, die in der Institutionalisierung gibt, die Sicherung von Macht, das Herrschen über Andere, bannen und ausbalancieren durch etwas anderes. Aber es ist auch eine soziologische Tatsache, dass ein Reformimpuls, wenn er verstetigt werden soll, wieder institutionell „gebändigt“ wird. Deshalb gilt es immer wieder Maß zu nehmen an den Ideen des Anfangs und das muss in jeder Zeit getan werden, indem nach den Wurzeln, nach der biblischen Botschaft gefragt und daraus ein kritischer Blick auf die jeweilige Gegenwart gewonnen wird. Auf diese Weise sehen wir dann, welche Modelle mehr dem Ursprungsimpuls entsprechen und welche sich eher entfernen. Wir leben zurzeit in einer kirchlichen Phase, in der eine Rückbesinnung auf die machtkritischen Impulse , die sich aus der Schrift und den Reformbewegungen früherer Epochen gewinnen lässt, dringend nötig ist.

Den Synodalen Weg haben wir etwas angeschnitten mit den Machtverhältnissen. Kann der Synodale Weg Input geben, dass Christinnen und Christen „wieder“ mehr eingebunden werden? Dass Kirche synodaler wird? Was wären denn die ersten Schritte?

Allein die Tatsache, dass der Synodale Weg stattfindet und das dort sehr gemeinschaftlich und intensiv gearbeitet wird, und zwar in ein wertschätzendes Miteinander von Verantwortungsträgern, zwischen Bischöfen und Laien, Menschen aus dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken, Delegierten des Synodalen Weges… dass sie alle miteinander auf dem Weg sind, dass allein ist schon ein wichtiger Schritt. Ich glaube es liegt in der Natur der Sache, dass ein synodaler Prozess mehr Zeit braucht, als wenn in einem Sitzungszimmer entschieden wird, was richtig und was falsch ist. Es muss gerungen werden! Alles was ich höre, lese und beobachte, spricht sehr stark dafür, dass ganz wesentliche Lernerfahrungen gemacht wurden – auf allen Seiten. Wenn ein Bischof und eine Laienvertreterin gemeinsam ein Forum leiten, in dem es um Fragen der Lebensformen geht, dann sehen wir, dass dort etwas passiert, weil die Bereitschaft da ist und wächst, aufeinander zu hören und voneinander zu lernen. Gerade das sind wesentliche Schritte. Trotzdem sind wir mit dem Synodalen Weg noch nicht am Ziel, weil es Entscheidungen geben muss. Es müssen Entscheidungen mit einem hohen Zustimmungsgrad gefällt werden, was vielleicht nicht für die Ergebnisse aller Foren gelingen wird. Es gibt eben auch Skepsis und Widerstand, Personen und Gruppierungen, die gegen dieses Projekt arbeiten und dazu auch Verstärkung suchen in weltkirchlichen Kontexten, indem viele Gerüchte und Unterstellungen über den Synodalen Weg verbreitet werden. Es ist demnach eine sehr wichtige Sache, dass in der kirchlichen Kommunikation möglichst viel von dem publik wird, was dort wirklich besprochen und wie tatsächlich gearbeitet wird.

foto: polis.ba

Es ist immer sehr gut, verschiedene kirchliche Räume und Erfahrungswelten miteinander ins Gespräch zu bringen und voneinander, miteinander zu lernen. Das erlebe ich hier auch. Es ist eine sehr offene und gute Atmosphäre, in der das offene Wort gepflegt werden kann und in der die Teilnehmenden ganz offensichtlich bereit sind sich füreinander zu öffnen, Argumente und Denkmuster zu prüfen und gemeinsam theologisch zu arbeiten

Das geschieht oft im kroatischen Kontext, dass die Berichterstattung über den Synodalen Weg sehr verzerrt ist und meist nur ein bestimmtes Bild vom Synodalen Weg geteilt wird. Wie kann und soll man kommunizieren, wenn gerade in diesen Ländern, vor allem Kroatien oder Polen, das „traditionelle“ Bild herrscht? Wir sehen ja, dass Tradition eigentlich auch ganz anders aussehen kann?

Es ist sehr wichtig, dass Informationen zur Verfügung stehen, dass die Texte, die im Synodalen Weg erarbeitet werden, wenn sie denn in einer definitiven Fassung vorliegen, bekanntgemacht werden, dass dann aber auch theologisch mit ihnen gearbeitet wird. Es braucht eine lebhafte Diskussion, damit der der fruchtbare, auch  geistliche fruchtbare Prozess auch über den Ursprungskontext hinaus wirken kann. Es ist ungerecht zu behaupten, es wäre nicht geistlich oder würde der Kirche schäaden. Das Gegenteil ist richtig, weil es ein gemeinsamer Suchprozess von Gläubigen mit ihren unterschiedlichen Lebenserfahrungen und in ihren unterschiedlichen kirchlichen Aufgaben und Funktionen ist. Da wird sichtbar was geschehen kann, wenn wir den Glaubenssinn der Gläubigen ernst nehmen und das allgemeine Priestertum leben. Man kann Orte dafür schaffen, wo ein solches Zusammengehen im Suchen geschieht. Es werden Erfahrungen möglich, die längst überfällig sind, aber bisher keinen Ort hatten; Stimmen werden hörbar, die bis jetzt kaum vorkommen konnten. Wenn wir an die denken, deren Leben in den etablierten und lehramtlich anerkannten Kategorien der Sexualethik nicht vorkommen können: Menschen, die gleichgeschlechtlich lieben; Menschen, die sich nicht in der binären Geschlechterordnung wiederfinden können. Im Synodalen Weg hatten sie den Mut und die Möglichkeit, ihre Stimme zu erheben, und werden gehört; ihre Lebenswirklichkeit und ihre Suche nach einem Ort im Glauben in der Kirche findet endlich Resonanz. Da verändert sich etwas. Da kann man nicht einfach sagen, dass es die verschiedenen Lebenswirklichkeiten nicht gibt oder dass das nicht katholisch sein kann. Da sind Menschen, die, obwohl sie über Jahre und Jahrzehnte in der Kirche eigentlich nur Zurückweisung erfahren haben, trotzdem sagen: Wir möchten unseren Weg gehen und unseren Platz in der Kirche haben. Ich finde das enorm wichtig! Ich kann es nicht anders deuten als ein Wirken des Heiligen Geistes, wenn solche Menschen in einem solchen Rahmen ihre Stimme erheben und dafür werben, dass wir uns öffnen.

Aus dieser gemeinsamen Suche sind auch Initiativen entstanden, eine ist beispielsweise Out in Church.

Ja, es ist eine Aufforderung und ein Signal dafür, dass unsere Kirche inklusiver werden muss und dass sie es sein kann. Wenn jeder Mensch als Bild Gottes geschaffen ist, jede und jeder, dann kann ich nicht sagen: du nicht, weil du anders bist. Das geht nicht. Der Synodale Weg schafft ein Forum, in dem diese Fragen erstmals kirchenöffentlich besprochen werden. Damit ist noch nicht alles in bester Ordnung, aber es entsteht die Möglichkeit, neu an diese Fragen ranzugehen und nicht immer vorzeitig alle Diskussionen zu beenden.

Die Berufung auf das Lehramt wird oft als Antwort auf alle Fragen in der Kirche verwendet. Wie sehen Sie das?

Auch das kirchliche Lehramt hat immer wieder die Aufgabe und die Chance, aus der Geschichte zu lernen, und es gibt Beispiele für solche Lernprozesse. Für mich ist das beste Beispiel die Geschichte der Kirche mit den Menschenrechten. Das ist eine Lerngeschichte. Das, was im 19. Jh. als Wahnsinn verdammt worden ist – die Gewissensfreiheit – , hat das zweite vatikanische Konzil als Teil der Lehre der Kirche etabliert in der Erklärung über die Religionsfreiheit Dignitatis humanae. Gewiss ist auch dieser Lernprozess noch nicht abgeschlossen, es gibt noch viele Ambivalenzen im Umgang der Kirche mit den Menschenrechten, aber es ist deutlich: Die Kirche kann lernen! Und heute muss sie in anderer Hinsicht lernen und diese Prozesse weiterführen. Dafür ist der Synodale Weg ein Zeichen und zugleich ein gutes Feld , auf dem sich zeigt, wie solches Lernen „geschehen“ kann. Es ist wichtig hinzuschauen, was dort wirklich geschieht, und auf diese Weise versuchen, die Skepsis zu überwinden. Es geht ums Zuhören, Aufeinanderzugehen, Ringen um gemeinsame Entscheidungen, um den geistlichen und theologischen Anliegen gerecht zu werden und um die so dringend notwendigen Reformen voranzubringen, ohne die die schwer beschädigte Glaubwürdigkeit der Kirche nicht wiedergewonnen werden kann.

Stichwort zusammen suchen und reden: Dann ist ja genau das Mediterranische Theologische Forum hier in Lovran eine gute Möglichkeit zusammenzukommen und miteinander zu lernen und zu sprechen. Hatten Sie ähnliche Formate erlebt?

Es ist immer sehr gut, verschiedene kirchliche Räume und Erfahrungswelten miteinander ins Gespräch zu bringen und voneinander, miteinander zu lernen. Das erlebe ich hier auch. Es ist eine sehr offene und gute Atmosphäre, in der das offene Wort gepflegt werden kann und in der die Teilnehmenden ganz offensichtlich bereit sind sich füreinander zu öffnen, Argumente und Denkmuster zu prüfen und gemeinsam theologisch zu arbeiten. Ich habe das auch in anderen Kontexten erlebt, beispielsweise die Begegnung mit Katholikinnen und Katholiken aus verschiedenen Kontexten und Kontinenten, Afrika oder Lateinamerika. Vor etlichen Jahren habe ich zum Beispiel auf einer Theologinnenkonferenz in Lateinamerika eindrückliche und schmerzhafte Geschichten gehört, unter welchen Bedingungen Kolleginnen und Kollegen dort Theologie betreiben. Sie hatten immer Angst davor, ihre Anstellungen zu verlieren, wenn sie sich ein bisschen offener äußerten, es war eine sehr angespannte Situation, in der das Zusammenkommen mit Kolleginnen aus einem anderen Teil der Weltkirche als Stärkung erlebt wurde, aber gleichzeitig mit einem hohen Risiko verbunden war.  Für beide Seiten braucht es solche Gelegenheiten voneinander zu lernen, sich gegenseitig zu stärken und die Freiheit des theologischen Denkens, die Freiheit des Glaubens zu erfahren.

Bei solchen Geschichten und Erfahrungen, die Theologinnen und Theologen gemacht haben, ist Ihnen die Situation mit Ansgar Wucherpfennig sicherlich nicht fremd. Ihm wurde das nihil obstat im Jahr 2017 nicht verlängert. Anscheinend gibt es auch in Europa noch immer das Problem mit der freien theologischen Forschung.

Diese Spannung zwischen einer suchenden Theologie und einer amtlichen Vergewisserung die schwer mit dem Suchen umgehen kann, ist immer vorhanden. Das Instrument der kirchlichen Lehrerlaubnis wird leider immer wieder in einer Weise verwendet, die dem theologischen Suchen enge Grenzen setzt. Ich kenne mehr als nur eine theologische Berufsbiografie, die durch kirchliche Intervention zerstört wurde, zum Schaden der Theologie und der Kirche. Als Lehrende in der Theologie wünschen wir uns und erwarten, dass Konflikte um theologische Fragen mit dem kirchlichen Lehramt im Diskurs bearbeitet werden nicht durch disziplinäre Schritte „erledigt“ werden. Und wenn es zu disziplinären Schritten kommt, braucht es eine unabhängige Berufungsinstanz, weil wir als Theologinnen und Theologin ansonsten in diesen Situationen völlig machtlos sind. Eine Kirche, die dem Wirken des göttlichen Geistes traut, kann sich die Freiheit nehmen und der Theologie die Freiheit lassen, zu suchen und zu erproben, wo der Geist weht, ohne dass das Lehramt enge Grenzen setzt. Um die Botschaft des christlichen Glaubens in eine neue Zeit zu übersetzen, ist es die Aufgabe der Theologie, blinde Flecken im kirchlichen Denken auszuweisen, neue Wege zu öffnen und neue Sprachangebote zu machen. Sie werden sich bewähren oder nicht. Das freie Wort, die faire Debatte und das intensive Studium unserer Quellen sind bessere Ratgeber als eine harsche Disziplin. Da muss man einen Boff oder Küng nicht in die Wüste schicken, ebenso wenig Regina Ammicht Quinn, oder einen Ansgar Wucherpfennig sanktionieren.


Mario Trifunović, polis.ba